Alle(s) unter einem Dach
Das "Servicehaus" in Stemwede
Wenn Lothar Pannen von seiner Arbeit erzählt, merkt man schnell, dass es bei ihm mehr um Berufung als um einen Beruf geht. Vor allem sein großes und jüngstes Projekt, das gemeinnützige Unternehmen Servicehaus Stemwede, erklärt er enthusiastisch und mit viel Energie. Im Stemweder Stadtteil Haldem haben Pannen, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Verein „Lebensperspektiven“ rund 1,8 Millionen Euro und viel Arbeit investiert, um einen kleinen Supermarkt mit Vollsortiment samt angegliederter Tankstelle, Waschanlage und Fahrradwerkstatt aufzubauen. Das Besondere an dem Projekt, das eine Anschubfinanzierung vom LWL und verschiedenen Stiftungen bekommen hat: 40 Prozent der Arbeitsplätze nehmen Menschen mit Behinderungen ein. Zudem bieten 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter dem Dach des Servicehauses Maler- und Elektroarbeiten, Haus-Service, Garten- und Landschaftsbau, Floristik und ein Café.
Das Servicehaus ist ein weiterer Schritt in Pannens Karriere, die auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich verlaufen zu sein scheint. 1995 verließ er seine ungekündigte Stelle in einer großen Einrichtung für mehrfachbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene, um Kindern und Jugendlichen „in kleineren Zusammenhängen“ zu helfen. Er kaufte einen Bauernhof in Stemwede, gründete dort sein „Kinderhaus“, in dem er mit Fachkolleginnen und -kollegen in einer Art Familienverbund zwölf misshandelte und traumatisierte Kinder aufnahm. Im Laufe der Jahre behandelte er auf diese Weise rund 160 Mädchen und Jungen, denn seine Einrichtung wuchs rasant. „Wir kauften einen weiteren Bauernhof, dann noch einen“, erzählt Pannen und rückt kurz seine Brille zurecht. 54 Plätze stehen heute für Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland zur Verfügung.
Das Kinderhaus, das der LWL durch die Tagessätze nach dem Jugendhilfegesetz mitfinanziert, arbeitet mit Schulen zusammen, hilft bei der Ausbildung und Berufsfindung. Gerade dort sah Pannen, der seine Arbeit auf einem, wie er sagt, starken christlichen Fundament aufbaut, eine Leerstelle. „Unsere Hauptfrage: Wie könnten wir es schaffen, die jungen Menschen mit all ihren Traumatisierungen und Problemen in die Arbeitswelt zu bringen? Wir können sie ja schlecht einfach zurück in ihre Heimatstädte ziehen lassen.“
Bei einem Kongress des LWL in Münster entdeckte er ein Modellprojekt aus Kanada. Später entstand daraus mit dem Servicehaus die Idee, den Weg für die Jugendlichen auch ins Berufsleben zu erleichtern. Die Einrichtung muss sich auf dem freien Markt behaupten. Gefördert werden – wie bei allen anderen Unternehmen auch – nur für begrenzte Zeit die Arbeitslöhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen. Dafür leistet das Servicehaus neben den Arbeitsplätzen für die Region auf mehreren Ebenen Gutes. In Haldem ist wieder ein Supermarkt entstanden – und mit der Gärtnerei und einigen kleinen ortsansässigen Handwerksbetrieben, die ebenfalls zum Servicehaus gehören, konnten Unternehmen erhalten werden, die wegen eines fehlenden Nachfolgers vor dem Aus standen. „Wir haben die Firmen von den Altinhabern übertragen bekommen und können sie nun für die Menschen in Stemwede weiterführen."
Momentan arbeiten zehn Menschen mit Behinderungen für das Servicehaus, betreut von Fachkräften aus dem jeweiligen Handwerk, aber auch aus Therapie und Sozialpädagogik. Einer von ihnen ist Ralf Bachmann, der an der Waschanlage mit dem Hochdruckreiniger konzentriert einige Plastikstühle reinigt. Als ein Wagen hält, eilt er auf den Fahrer zu. „Kann ich Ihnen helfen?", fragt der 44-Jährige, während er ein wenig mit dem Kopf zur Seite zuckt. Seine Worte kommen etwas zögerlich, mit einer Hand drückt er sich auf die Schulter, so als ob er sich selbst helfen wollte, seine Frage flüssiger zu stellen. Lothar Pannen lächelt, während er die Szene beobachtet. „Ralf ist unglaublich engagiert, er will immer etwas zu tun haben“, erklärt der Initiator des Servicehauses. Bachmann, der wegen seiner Lese-Schreib- und Lernschwäche und der erheblichen Sprachstörung Probleme hat, sich flüssig zu unterhalten, und auf dem ersten Arbeitsmarkt wohl kaum einen Job finden würde, wischt seine Hände an seiner roten Arbeitshose ab und legt los. Antenne abschrauben, Felgen und Lack vorbehandeln, abspritzen, Programm einstellen, hinterher die Einstiege mit einem Lappen trocknen, fertig. Der Kunde steigt ein, bedankt sich und fährt los. Ralf Bachmann schaut kurz hinterher – und macht sich wieder an die Arbeit.