Beruf, Bude, Beziehung
Das Integrationsunternehmen HFR Rümpelfix in Münster gibt Menschen mit Behinderung Arbeit und Sicherheit
Kasse, Quittungsblock und Stempel hat er vor sich. Links die Kontrollmonitore der Kameras. Tesa-Roller, Rechner, Locher stehen rechts. Dazwischen Wasserflasche und Telefon. Udo Mathias hat alles im Griff in seinem Laden. Der Ort hinter der Theke ist der Arbeitsplatz des 40 Jahre alten Münsteraners. Sechs Tage die Woche ist er der Herr eines Dauer-Flohmarkts.
An Udo Mathias und seinem aufmunterndem Lachen kommt so schnell keiner vorbei. Zumindest nicht nachmittags von eins bis sechs. Und samstags von zehn bis um eins. Er überwacht, kassiert und verkauft. Dann ist da noch die Telefonzentrale des Integrationsunternehmens HFR Rümpelfix, die auch noch bei ihm aufläuft. Er berät und gibt erste Tipps, wenn es ums Entrümpeln von Wohnungen in und um Münster geht.
Hinter der Abkürzung „HFR“, die auf einem Aufnäher auf Mathias’ Dienstjacke prangt, verbirgt sich ein soziales Firmengeflecht mit Vorreiter-Qualität. HFR, stellt Betriebsleiter Wolfgang Effing routiniert vor, steht für Holz, Fahrrad und halt Rümpelfix. HFR ist eine der beiden deutschen Selbsthilfefirmen, die ab 1980 neben dem allgemeinen Arbeitsmarkt und dem Sonderarbeitsmarkt der Werkstätten für Menschen mit Behinderung einen dritten Weg der beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen gesucht haben. Daraus sind die Integrationsunternehmen geworden, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) unterstützt. Effing ist auch schon seit der Anfangszeit dabei. Er kennt die Geschichten, wie in Tischlerei, Fahrradladen, Entrümpelungsdienst und Gebrauchtmöbelhandel Arbeitsplätze für psychisch erkrankte Menschen entstanden sind. Stolz haben 2010 alle rund 100 Beschäftigten, darunter viele in Zuverdienst-Projekten, das dreißigjährige Betriebsjubiläum gefeiert.
Udo Mathias macht sein 28-Stunden-Job mitten im Trubel viel Spaß, sagt er. Er ist längst eine Institution. Im Laden hat sich sogar eine Art Stammtisch gebildet. Manche kommen in seiner Schicht auf ein Schwätzchen mit ihm vorbei, ohne direkt etwas kaufen zu wollen.
„Richtig gelernt hab’ ich nichts.“ Punkt. Udo Mathias kann sehr offen sein. Fast entwaffnend. Aber so ganz stimmt es auch nicht. Er hat eine Lehre als Einzelhandelskaufmann begonnen und nach zwei Jahren abgebrochen. Davor hatte sein Körper nach einem Jahr allergisch reagiert, als er eine Lehre als Koch versuchte.
Heute hat Udo Mathias einen der derzeit neun sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen. Sein Chef Wolfgang Effing und der Abteilungsleiter Lutz Friedrich schätzen ihn und seine ordnende Hand, wie sie nickend bestätigen. So erleben ihn auch die Kunden. Wer fragt, bekommt von ihm ohne große Umschweife auch Antworten. Freundlich, aber bestimmt. Über ausgezeichnete Preise können die Kunden mit ihm handeln und feilschen – „so lange es im Rahmen bleibt“, sagt er. Und den Rahmen haben ihm seine Chefs gesetzt. „Da muss man durch. Ich bin Verkäufer. That’s it.“
Das Standhaft-bleiben, das lernt man mit der Zeit automatisch, sagt Udo Mathias. Die Telefon- und Verkaufstrainings haben ihm dabei geholfen, gibt er zu. Auch am Telefon lächeln, das hat Udo Mathias daraus für sich mitgenommen. Mit Erfolg: „Dieses Lächeln hilft ja wirklich“, sagt er und lacht. Warum er bei Rümpelfix arbeitet, das spielt im Laden fast keine Rolle, sagt Udo Mathias. HFR ist ein Reformprojekt, erklärt Effing, dass die Erkrankung nicht in den Vordergrund stellt. „Wir wollen über unsere Produkte begriffen werden.“
Und für Mathias ist klar: „Ich arbeite in einer Integrationsfirma. Und da wissen auch die Kunden, dass man psychisch nicht ganz so fit ist.“ Mehr wollen sie meist auch gar nicht erfahren. Aber wer fragt, dem sagt er offen: „Ich hab’ Stimmen gehört.“ Seine letzte Diagnose lautet auf „Schizophrene Psychose“. Was für Udo Mathias im Alltag bedeutet, dass er nicht mehr Fahrrad fährt, sondern mit dem Stadtbus zur Schicht rollt. Die Kollegen kennen seine Krankheit, können eingreifen, wenn er mal Hilfe brauchen sollte, sagt Effing. HFR bietet den Mitarbeitern einen festen Rahmen und damit Sicherheit.
Beruf, Bude, Beziehung – diese drei B’s bestimmen heute Mathias’ Leben. Diese drei Dinge hat er für sich gemeistert, sagt Udo Mathias stolz, der zwei Töchtern der Vater ist. Und bei seiner Arbeit hilft er heute Menschen aus allen sozialen Schichten, ihr Leben hinzubekommen. Ob es der Verkauf von Tellern für einen Euro an Erstsemester-Studenten ist. Oder der Gebrauchtsofa-Einkauf einer Alleinerziehenden, die von Sozialhilfe lebt. HFR verliert er dabei nicht aus dem Auge. „Hauptsache, wir haben etwas verkauft.“
Das Integrationsunternehmen muss sich trotz aller sozialen Ansprüche an sich selbst auch finanziell tragen. Auf dem Secondhand-Markt herrscht ein rauer Wind. „Wir stehen mit unseren Produkten im Wettbewerb“, sagt Effing. „Mit den professionellen und privaten Entsorgern und Entrümplern zum Beispiel.“ Wenn die Tischlerei bald in ein Gewerbegebiet umzieht, dann gibt es bei HFR Platz für ein kleines Secondhand-Kaufhaus mit insgesamt 900 Quadratmetern Fläche rund um den engen City-Innenhof in Bahnhofsnähe. Daran plant auch Udo Mathias jetzt schon mit. „Ich bin jetzt elf Jahre hier und die nächsten elf Jahre werde ich wohl noch hier bleiben, schätze ich.“