„Hier blüh’ ich auf.“
Michael Jung findet im Siegener Integrationsunternehmen Reselve in der alten Heimat einen neuen Anfang
Trupbach – da ist Michael Jung daheim. „Feuerwehr, Heimatverein, Fußballverein“, beschreibt der gelernte Maler und Lackierer, was das 2000-Einwohner-Dorf bei Siegen für ihn ausmacht. In dem Ort ist er aufgewachsen, zur Schule gegangen. Dort lebt er mit seiner Familie und seinen Freunden. Vor gut zwei Jahren hat der 41-Jährige den Pinsel aus der Hand gelegt, ist wegen einer schweren Depression ins Krankenhaus gekommen. „Da war ich weg vom Fenster.“ Seit einem Jahr hat der stämmige Mann eine neue Arbeit in Trupbach – als Hausmeister bei Reselve. „Und mein ganzes Umfeld sagt: Sei froh.“
Reselve – das steht für „Rehabilitation seelisch verletzter Menschen“ – beschäftigt neben Jung zwei weitere Handwerker als Hausmeister. Das 1994 gegründete Integrationsunternehmen, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) unterstützt, bietet Michael Jung einen Arbeitsplatz, der zu seiner psychischen Erkrankung passt. Mit der er schon mehr als ein Jahrzehnt lebt – auch wenn er seit seinem Krankenhausaufenthalt, wie er sagt, beschwerdefrei ist. „Eine Garantie gibt aber keiner.“
Dass Jung sich zur Rehabilitation bei Reselve in Trupbach angemeldet hat, ist für Reselve-Geschäftsführer Dirk Römer und Fachanleiter Torsten Wust nicht selbstverständlich. „Psychische Erkrankungen werden oft stigmatisiert“, stellt Dirk Römer immer wieder fest. „Darüber wird hinter vorgehaltener Hand gesprochen, die haben immer noch einen Makel.“ Jung hat sich darüber hinweg gesetzt. Er lebte mit dem Dorfklatsch und ließ sich bei Reselve, im Gebäude der alten Hauptschule, die er selbst noch besucht hat, rehabilitieren. „Er wagte den Schritt hierhin, stellte sich seiner Krankheit. Und ging damit auch noch relativ offen um: Das ist auch für uns hilfreich“, sagt Wust.
Michael Jung hört es ganz gern, wenn er auf Neudeutsch „Facility Manager“ gerufen wird. Er hat einen Führerschein wie seine ebenfalls gehandicapten Kollegen Bertram, der Elektriker im Team, und Holger, der Klempner. Seine letzte Stelle vor dem Krankenhaus war ein „Topp-Job“, erzählt er. Aber der Stress war gewaltig. „Da gab’s montags den Arbeitszettel. Ich war dann die Woche unterwegs. Dabei bin ich seelisch verkümmert.“ Heute verdient der Vater von zwei Kindern ungefähr gleich viel Geld. „Aber wenn ich Schluss habe, bin ich in zehn Minuten zuhause.“ Der große Unterschied aus seiner Sicht: „Hier blüh’ ich auf. Es gibt ein breites Spektrum an Arbeit und die direkten Kollegen. Auf der letzten Stelle war ich ganz alleine.“
Blutproben von anderen Patienten wegbringen. Medikamente holen. Das gehört nun zu seinem Job wie auch Umzüge und das Renovieren von Wohnungen. „Wir haben bestimmt 50 Standorte in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe, wo regelmäßig was zu tun ist“, schätzt der reisende Hausmeister. Sein Unternehmen ist zugleich interner und externer Dienstleister. Die Hausmeister sind für rund 300 Menschen zuständig, die ambulant betreut oder in Wohngemeinschaften leben, eine Tagesstätte, Treffs und ein ambulantes Zentrum. Im Sommer mähen die drei den Rasen, im Winter müssen sie früh raus zum Schnee schippen.
„Wir haben nun für jedes Gewerk einen Fachmann“, sagt Jung. „Da können wir vieles selber machen.“ In diesem Jahr kommen deshalb Handys und Laptops mit einem neuen Auftragssystem auf die Hausmeister zu. „Ich mach’ dasselbe wie draußen“, sagt Jung. „Ich bin ja nicht so behindert, dass ich nicht selbstständig arbeiten kann. Ich habe die Jobs gerne fertig. Da muss man sich gegenseitig schon mal sagen: Mach’ mal locker.“
„Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen“, betont Reselve-Chef Dirk Römer. „Wir müssen den Druck nicht weitergeben wie andere Firmen, die Gewinne machen wollen. Bei uns müssen die Leute quasi nur ihr eigenes Geld verdienen.“ Zu locker ginge es allerdings auch nicht, Leistungsanforderungen stehen für ihn außer Frage: „Wir müssen auf dem ersten Arbeitsmarkt bestehen. Punkt. Die Kardinalaussage ist bei uns: Die Arbeit muss erledigt werden. Dafür brauchen wir Leute, die die Arbeit erledigen können.“
Reselve hat als alleinigen Gesellschafter die Aktionsgemeinschaft zur Förderung psychisch Behinderter und ist auch Träger des örtlichen Integrationsfachdienstes im Auftrag des LWL-Integrationsamtes. „Wir tun eine ganze Menge dafür, dass unsere Leute in Lohn und Brot kommen“, sagt Römer. Das ländliche Umfeld mit funktionierenden Dorfgemeinschaften und die gute Nachfrage nach Fachkräften helfen dabei. Der Geschäftsführer hat festgestellt: „Wenn die Menschen mit psychischen Erkrankungen entsprechend qualifiziert sind und einen leidensgerechten Arbeitsplatz finden, dann können sie gute Leistungen erbringen.“
Zwei Angebote für Jobs von außerhalb hatte Michael Jung nach seiner erfolgreichen und schnellen Reha innerhalb eines Jahres. Aber er hat sich für Reselve und sein Trupbach entschieden. „Weil ich hier ein besseres Gefühl hatte.“ Den Unterschied macht für ihn auch die eine Stunde aus, in der er jede Woche mit einer Sozialarbeiterin den während der Arbeit angefallenen Ärger und die Belastungen durchspricht. „Das hier ist ein Geben und Nehmen“, urteilt Michael Jung. „Ich versuche, handwerklich alles zu bringen.“ Die neue Stelle ist für ihn fast wie ein Sechser im Lotto. „Vielleicht habe ich auch nur einmal viel Glück gehabt.“