Schweißen für den Weltmarkt
Das Integrationsunternehmen Komet in Gütersloh setzt behinderte und suchtkranke Mitarbeiter am richtigen Arbeitsplatz ein
Funken sprühen, knappe Anweisungen hallen durch die hohe Werkhalle. Die Sonne scheint durch das Fenster. Aber die Arbeiter haben keinen Blick für das schöne Wetter. Einige tragen Stahlstangen in die Ecke des Raums, in der ein Kollege mit Gesichtsschutz das Material zusammenschweißt. Mittendrin Ralf Hoffmann, im Blaumann. Er hat alles im Blick, prüft Schweißverbindungen, klopft einem Kollegen auf die Schulter. Der 44-Jährige ist Vorarbeiter beim Integrationsunternehmen Komet. Es liefert vor allem Bauteile für den weltweit agierenden Landmaschinenhersteller Claas.
Ralf Hoffmanns Karriere ist nicht gewöhnlich. Er war „ganz unten“, wie er selbst sagt, bevor er hier im Industriegebiet in Güterslohs Norden eine Chance bekam. „Ich habe auf dem Bau gelernt und gearbeitet – und bin dort zum Alkoholiker geworden“, erzählt er. Nach einer ersten Entziehungskur, die ihm sein Chef „aufgedrängt hatte“, wie er sagt, wurde er rückfällig. „Ich wollte es selbst zu wenig, deswegen hat das nicht funktioniert.“ Erst als seine damalige Lebensgefährtin – und heutige Frau – ihn unter Druck setzte, verstand Hoffmann selbst, warum er sein Leben in die Hand nehmen musste. „Sie drohte mir, dass ich meinen Sohn nicht mehr sehen darf – das hat bei mir einiges bewirkt.“ In der LWL-Klinik Gütersloh entzog der Alkoholsüchtige, lebte fast ein Jahr in der Therapieeinrichtung. „Seit elf Jahren bin ich trocken. Ohne Probleme, selbst wenn ich mal mit Freunden in die Kneipe gehe.“
Geholfen hat dabei auch seine neue Karriere, die er mit einem Zuverdienstjob beginnt – um wieder in den Beruf zu kommen. Um nicht überfordert zu werden, arbeiten beispielsweise Suchtkranke für drei Stunden am Tag. Hoffmann ist vor zehn Jahren zu Komet gekommen, das als Integrationsunternehmen vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) gefördert wird. Schnell zeigt er, dass er mehr kann und will. Nach fünf Monaten bekam er eine sozialversicherungspflichtige Anstellung. Vor zwei Jahren ist er Vorarbeiter bei Komet geworden.
Entwicklungen wie die von Ralf Hoffmann will Komet fördern, mit viel Einsatz und einem Stufenkonzept, das die Mitarbeiter so einsetzt und fördert, wie es zu ihnen passt. Das Unternehmen ist als eine Außenstelle der heutigen LWL-Klinik Gütersloh gestartet worden. Deren Ärzte wurden vom damaligen Leiter Klaus Dörner, einem Pionier der Integrationsunternehmen, aufgefordert, neben ihrer Arbeit – oder mit Freistellung – Unternehmen zu gründen, in denen Suchtkranke arbeiten können. „Um wieder einen geregelten Tagesablauf zu lernen, um Verantwortung zu übernehmen und etwas Sinnvolles zu tun“, sagt Komet-Geschäftsführer Andreas Schmelzer. „Die Patienten verließen auf diese Weise ihr Umfeld und wurden seltener wieder rückfällig.“ 16 Zuverdiener arbeiten heute bei Komet, hinzukommen elf Menschen mit Behinderungen.
Andreas Schmelzer kennt sich aus in der Suchttherapie, mittlerweile. „Als ich bei Komet einstieg, hatte ich noch keine Ahnung von psychiatrischen Krankheitsbildern oder Sucht-Erkrankungen.“ Der Bauschlosser, der bei der Landeseisenbahn gelernt hatte, startete 1996 als Vorarbeiter, wurde Betriebsleiter und schließlich Geschäftsführer des Unternehmens.
Nebenberuflich hat er Zusatzausbildungen absolviert, deren Erkenntnisse er an die anderen Mitarbeiter weitergibt. „Uns hilft aber auch, dass die Kollegen untereinander solidarisch sind. Das war früher noch ein wenig anders. Da haben sich manche auch mal angeschwärzt, wenn einer zu lange Pausen gemacht hat oder betrunken zur Arbeit kam“, erinnert sich der dreifache Vater. „Heute ist das eher einer gegenseitigen Rücksichtsnahme gewichen. Die Kollegen passen auf und gehen aufeinander zu, wenn etwas nicht stimmt.“
Schmelzer kann sich heute kaum einen anderen Job vorstellen. „Viele unserer Mitarbeiter machen hier eine wirklich tolle Entwicklung, so dass der Sinn der Arbeit auf der Hand liegt.“ Er räumt aber auch ein, dass er öfter Kompromisse machen muss. Das Team, das zwei Mal wöchentlich von Sozialarbeitern unterstützt wird, ist nicht so belastbar wie eine Mannschaft ganz ohne Handicaps. Der Krankenstand ist höher, die Pausen manchmal länger als gewöhnlich. „Wir müssen mehr Geduld haben und unsere Antennen immer offen halten; wenn wir zum Beispiel mitbekommen, dass einer der suchtkranken Kollegen vielleicht rückfallgefährdet ist oder einer mit psychischen Problemen wieder in ein Tief schliddert.“
Diese besondere Achtsamkeit führt auch dazu, dass Schmelzer momentan ein besonderes Augenmerk auf Jan Hannwacker legt. Der 27-Jährige, der eine Ausbildung zum Dreher gemacht hat und mit Hilfe des Integrationsfachdienstes Gütersloh ins Unternehmen gekommen ist, hat seit einigen Wochen Probleme, morgens aus dem Bett zu kommen. „Ich höre einfach den Wecker nicht, auch wenn ich früh schlafen gegangen bin“, sagt der junge Mann. In anderen Firmen würde Zuspätkommen Konsequenzen haben, bei Komet steht erst einmal die Sorge um den Mitarbeiter im Vordergrund. „Jan Hannwacker war bei mehreren Ärzten und auch schon im Schlaflabor. Momentan lautet die Diagnose, dass es ein neurologisches Problem sein könnte“, erklärt Schmelzer. „Wir warten nun die Untersuchungen in Ruhe ab.“ Auf der anderen Seite spricht der Chef auch Klartext, wenn es keine gesundheitlichen Gründe sind, die einen Mitarbeiter von seiner gewöhnlichen Leistung abhalten. „Es ist immer wieder ein Balanceakt zwischen Druck rausnehmen und Druck machen“, sagt Schmelzer. „Aber das macht den Job hier auch aus und damit so interessant.“