Arbeiten am richtigen Platz
Die Autowerkstatt FahrFair in Herford verbindet Handwerk und Engagement
Das Leben von Jürgen Swagelski veränderte sich am 21. Mai 2008 von einem Moment auf den anderen. Der damals 20-Jährige hatte sich von einem Freund ein Quad geliehen, eine Art vierrädriges Motorrad. Der erfahrene Motorroller-Fahrer setzte seinen Helm auf. Er fuhr los auf eine kleine Spritztour. Nach einer Kurve überholte er zwei Autos, verlor plötzlich die Gewalt über die Maschine und kam von der Straße ab.
Erst einen Monat später erfuhr er, was danach passiert war. „Ich bin aus dem Koma erwacht und sah meine Familie am Bett stehen“, erinnert sich Swagelski. „Dann brach alles auf mich ein.“ An jenem schicksalhaften Abend hatte er einen Stromkasten mit der rechten Körperseite gerammt, „an der danach alles, aber auch wirklich alles gebrochen war: Das Schienbein, der Oberschenkel. Alle Rippen, von denen eine die Lunge verletzt hatte, der Arm. Und ich musste künstlich beatmet werden.“ Auch die Langzeitfolgen sind drastisch: Swagelski ist zum Teil querschnittsgelähmt – er kann seinen Oberkörper ein wenig bewegen, den linken Arm mit Einschränkungen nutzen.
Heute, drei Jahre später, sitzt der junge Mann im Rollstuhl. Aber er lächelt wieder. Dazu trägt auch sein Ausbildungsplatz bei, sagt er, weil er etwas tun und sein eigenes Geld verdienen kann. Swagelski lernt seit Januar 2011 Bürokaufmann. „Und am allerbesten ist: Ich arbeite in einer Autowerkstatt. Das Thema hat mich immer schon interessiert.“ Sein Arbeitsplatz ist der Büromittelpunkt der FahrFair-Meisterwerkstatt – ein Integrationsunternehmen am Rande von Herford, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) finanziell unterstützt. Gemeinsam mit dem Landesprogramm „Integration unternehmen!“ gab der LWL Zuschüsse zu den Investitionen in die Halle und die Ausstattung. Hinzu kommen die laufenden Zuschüsse zu den Lohnkosten und für den besonderen Betreuungsaufwand der schwerbehinderten Arbeitskräfte.
FahrFair liegt ländlich, Pferde stehen gegenüber auf einer Koppel. Wellige Wiesen umgeben den schlichten Bau, in dem Swagelski arbeitet. „Ich nehme Aufträge entgegen, bestelle Teile für die Kunden, schreibe Rechnungen und übernehme den Telefondienst.“ Alles mit den Fingern der linken Hand, die er noch bewegen kann. „Ich bin zwar etwas langsamer als früher beim Tippen, aber das geht schon“, sagt er und lächelt. „Außerdem bestellen wir gerade ein Spracherkennungsprogramm, das ich bei meiner beruflichen Rehabilitation in Heidelberg kennengelernt habe. Damit kann ich dann auch ohne Probleme längere Texte verfassen.“
Langsamkeit beim Tippen – derartige Einschränkungen sind für Tom Malinowski überhaupt kein Problem. Der Gründer von FahrFair hat in das Integrationsunternehmen neben den öffentlichen Zuschüssen sein gesamtes Eigenkapital und viel Arbeit eingebracht. „Wir kümmern uns viel um unsere Mitarbeiter, aber das machen verantwortungsbewusste Chefs von normalen Unternehmen ja auch.“ Neben Jürgen Swagelski beschäftigt der Existenzgründer eine Mitarbeiterin, die eine psychische Behinderung hat. Sie kommt vor allem im Hol- und Bringservice der Kundenfahrzeuge zum Einsatz und, wie er sagt, „als Frau für alles“.
In der Werkstatt arbeiten nur nicht-behinderte Mitarbeiter, ein Kfz-Mechaniker und eine Lackiererin. „Noch“, sagt Malinowski, denn in Zukunft könnte er sich, falls er jemanden geeignetes findet, auch einen Mechaniker mit Handicap vorstellen. Für den gebürtigen Schweriner, der nach der Realschule eine Kfz-Mechaniker-Lehre absolvierte, war die Idee, ein Integrationsunternehmen zu gründen, vom Lebenslauf her fast schon zwangsläufig. „Ich habe nach der Ausbildung meinen Zivildienst in einer Rehabilitations-Klinik gemacht und auch schon in der Lehre als Nebenjob im Seniorenheim gearbeitet. Ich fand das immer sehr spannend und überlegte damals, ganz die Branche zu wechseln.“ Malinowski hat stattdessen aber als Mechaniker bei zwei großen Firmen gearbeitet. 2010 machte er seinen Meister. „Irgendwann entstand die Idee, beide Bereiche zu verknüpfen.“ Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Vater seiner Freundin, mit der er zwei Kinder hat, seit 25 Jahren im Rollstuhl sitzt. „Er arbeitet beim Diakonischen Werk in der Sozialberatung und hat mir sehr geholfen. Wir haben lange Gespräche geführt, die mich bestärkt haben, in meinem beruflichen Bereich etwas für die Integration von Menschen mit Behinderungen zu tun.“
Was gar nicht so einfach war: Der Plan, den Fuhrpark von sozialen und öffentlichen Institutionen zu betreuen, ist bisher nicht aufgegangen. „Noch reagieren die Einrichtungen eher verhalten“, sagt Malinowski. Aber stattdessen brummt das Geschäft mit Reparaturen, Wartungsarbeiten und Reifenservice bei Fahr Fair, das auch den behindertengerechten Umbau von Fahrzeugen anbietet. Deswegen ist Malinowski zufrieden. „Es läuft besser, als ich es erwartet habe“, sagt der 29-Jährige. „Wir haben unseren eigenen Businessplan schon überholt. Das gibt uns die Sicherheit, auf unserem Weg weiterzugehen.“