Die Qualität muss stimmen
AWO-Service, Gelsenkirchen
In der Kantine des Musiktheaters Gelsenkirchen arbeiten elf Menschen, fünf davon haben eine Behinderung. Gemeinsam haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AWO Service GmbH einen Treffpunkt für die Gäste geschaffen, der immer beliebter wird.
Eine Balletttänzerin mit zwei verschiedenfarbigen Hosenbeinen bestellt einen Joghurt mit Müsli, ein Bühnentechniker Pasta mit Rucola und Walnüssen, ein Mittfünfziger mit tiefblauem Jackett ein Schnitzel. „Mit Reis, nicht mit Pommes, bitte.“ Hochbetrieb in der Kantine des Musiktheaters Gelsenkirchen. Thomas Kölsche füllt die Teller und gibt sie seiner Kollegin im Service. Er lächelt über die Glastheke hinweg, bis der erste Ansturm vorbei ist. Anschließend geht der 42-Jährige durch die Seitentür in einen kleinen, warmen Nebenraum. Er lässt Wasser über Teller laufen, sortiert sie in die Gastronomie-Spülmaschine ein, startet das Gerät. Kurze Zeit später Aufräumen in der Küche: Hier sortiert der Gelsenkirchener, der als Kleinkind einen Schlaganfall erlitt und seitdem eine schwere Behinderung hat, die sauberen Kellen zurück an die Wand.
Hohe Qualität zu guten Preisen
Thomas Kölsche arbeitet für die AWO Service GmbH, die die Kantine des Musiktheaters mitten in Gelsenkirchen betreibt. Fünf Menschen mit und sechs ohne Behinderung sind in dem Integrationsunternehmen beschäftigt, das im Jahr 2012 gegründet wurde. Die Kantine hat von 8:30 Uhr bis 23 Uhr geöffnet und gibt neben vielen kleinen Speisen mittlerweile 80 bis 100 Hauptmahlzeiten pro Tag heraus. „Wir haben mit 40 Mahlzeiten angefangen, die Steigerung war von Anfang an geplant“, sagt Carsten Wiegand. Der Betriebsleiter hatte einen ambitionierten Auftrag, als er im Juni 2012 in das Unternehmen einstieg. „Wir sollten einen Treffpunkt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Musiktheaters schaffen und hohe Qualität zu guten Preisen anbieten.“
Die Umsetzung hat funktioniert: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben nach dem Essen manchmal auch länger bei einem Kaffee zusammen sitzen. Sie unterhalten sich, es wird viel gelacht. Finanziell rentiert sich das Projekt, weil zur Kantinenführung auch das so genannte Vorderhaus dazukommt – direkt hinter der imposanten Glasfassade, an der der Innenstadt zugewandten Seite, liegt die Gastronomie, die die Besucherinnen und Besucher bei den Aufführungen nutzen. „Wir finanzieren die Kantine damit quer“, sagt Wiegand, der auch auf den Minderleistungsausgleich und die Zahlungen für den erhöhten Betreuungsaufwand angewiesen ist, die der LWL finanziert.
Das Ziel: Gewinn erwirtschaften
Zudem haben die »Aktion Mensch«, die Stiftung Wohlfahrtspflege und das NRW-Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, Zuschüsse für die Einrichtung der Kantine gezahlt. „Dennoch verstehen wir uns als Wirtschaftsbetrieb. Deshalb ist es unser Ziel, im zweiten Geschäftsjahr auch den Umsatz zu steigern.“ Der Hotelkaufmann, der in Küche und Service gelernt hat, bleibt aber realistisch. Viele Firmenrestaurants lassen sich nur wegen der Zuschüsse der Arbeitgeber überhaupt rentabel betreiben. Egal wo, die Qualität steht für Wiegand im Vordergrund. Kartoffelpüree wird frisch zubereitet und kommt nicht aus der Tüte, die Schnitzel werden direkt in der Küche paniert. „Wir wollen, so weit das geht, wie bei Muttern kochen“, sagt Carsten Wiegand mit einem Lachen. „Die Gäste finden das super. Stimmt’s?“, ruft er zu einem Tisch hinüber, an dem sämtliche Theaterleute einstimmig nicken.
Zahlen als Leidenschaft
Schnell wird er wieder ernst. „Es ist tatsächlich so. Nur über gutes Essen und Freundlichkeit schafft man es, die Menschen anzulocken und auch zu halten.“ Wie gut das läuft, kann Frederike Notthoff jeden Tag sehen. Die Bürokauffrau, die wegen ihrer körperlichen Einschränkungen nicht allzu schwer tragen kann, liest jeden Tag die Kasse aus und trägt die Daten in Tabellen ein. Die 21-Jährige arbeitet der Buchhaltungsabteilung zu. „Das ist so ein bisschen meine Leidenschaft“, sagt sie, während sie am Computer eine Zahlenkolonne herunterscrollt.
Frederike Notthoff und ihre Kollegen kamen über ganz reguläre Bewerbungen zur AWO Service GmbH, zum Teil wurden sie auch vom Integrationscenter der Agentur für Arbeit vermittelt. „Wir haben uns die Interessenten sehr genau angeschaut“, erzählt Carsten Wiegand. „Mir kam es vor allem darauf an, Menschen zu gewinnen, die sich mit der Dienstleistung hier identifizieren können. Gastronomische Vorbildung hatten einige, das war aber nicht unbedingt ausschlaggebend.“ Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zwischen 23 und 52 Jahren alt. „Auch das war eine bewusste Entscheidung, um möglichst große Vielfalt zu haben und damit auch auf breit gefächerte Erfahrungswelten zurückgreifen zu können.“ Bei der Einarbeitung half der Integrationsfachdienst Gelsenkirchen, der vom LWL finanziert wird.
Die gute Arbeit hat den Ruf der Kantine schon so weit gefestigt, dass immer mehr Menschen auch aus anderen Büros in der Gegend mittags zum Essen kommen. Bis zu einem bestimmten Maße ist dieser Zulauf gut zu bewältigen, sagt Carsten Wiegand. „Unsere Hauptaufgabe ist aber die Bewirtung der Theatermitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Da müssen wir drauf achten.“ Zudem hat die Kantine seit dem 1. Oktober 2013 die Belieferung und den Betrieb eines weiteren Firmenrestaurants übernommen: Das der Emscher Lippe Energie GmbH, die schräg gegenüber ihren Sitz hat. „Auch dort haben wir drei weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung beschäftigt“, sagt Carsten Wiegand. „Wir wachsen also weiter.“