Das Modell „Aspethera“
Volle Integration und vollkommener Service – geht gut zusammen.
Sobald Gäste das Haus betreten, schenkt ihnen Bettina Rehaag ein Lächeln. Sie blickt von ihrer Tastatur auf, begrüßt die Ankommenden und checkt sie mit zwei, drei routinierten Fragen in ihre Zimmer ein. Die 27-Jährige sitzt an der Rezeption des Hotels Aspethera am Rande der Paderborner Innenstadt – im Rollstuhl.
Bettina Rehaag leidet an einer Spastik, seitdem sie als Frühchen zur Welt kam. Hier, in dem vor fünf Jahren entstandenen 57-Zimmer-Haus, hat sie etwas gefunden, was sie schon länger gesucht hat. „Nach meiner Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation wollte ich mit und für Menschen arbeiten“, sagt sie und schaut selbstbewusst durch ihre eckige Brille. Mit einer beiläufigen Handbewegung fährt die junge Frau ihren Rollstuhlsitz ein wenig nach oben, um den nächsten Gästen auf Augenhöhe zu begegnen. Wieder grüßt sie freundlich und erklärt dem Ehepaar, wo es zum Paderborner Dom geht.
Bettina Rehaag arbeitet in einem ganz besonderen Hotel. Das stilvolle Haus mit dem fast original belassenen Stiftskeller gehört der selbstständigen kirchlichen Stiftung Kolping-Forum Paderborn, die das gastliche Haus auf unübliche Weise führt. „Wir haben die Aufgabe, benachteiligte Menschen auszubilden. Das Hotel ist dabei das Mittel zum Zweck“, sagt Stiftungsvorsitzende Regina Schafmeister. „Gleichzeitig steht das Wohl der Gäste im Vordergrund. Sie dürfen im besten Fall gar nicht merken, dass hier etwas anders ist.“
Das ist nicht so trivial, wie es klingt, bildet doch das Aspethera-Hotel, das mit „Drei Sterne Superior“ eingestuft ist und damit alle Voraussetzungen für vier Sterne erfüllt, mit Hilfe unterschiedlicher Hotelfachkräfte, aber auch sozialpädagogischen Fachleuten rund 30 benachteiligte Jugendliche aus. Zudem bietet die Stiftung Berufsvorbereitungs-Maßnahmen an. „Wir unterstützen junge Frauen und Männer aus Problemfamilien, oft mit Migrationshintergrund, sowie mit Lernschwächen“, beschreibt Regina Schafmeister die Herkunft der jungen Leute, deren Ausbildung von der Agentur für Arbeit finanziert wird.
Hinzu kommen 17 Menschen mit Behinderung, die bei der Stiftung fest angestellt sind. Weil mehr als 25 Prozent der Beschäftigten eine Schwerbehinderung aufweisen, konnte das LWL-Integrationsamt Westfalen das Hotel Aspethera als Integrationsunternehmen anerkennen. „Wir hatten das zumindest zu Anfang gar nicht vor“, erinnert sich Regina Schafmeister. „Als wir aber einen Praktikanten mit Down Syndrom hatten, der nur als Ausnahme geplant war, haben wir eine wirklich beeindruckende Erfahrung gemacht: Unsere Jugendlichen merkten plötzlich, dass es Menschen gibt, die noch mehr Hilfe als sie benötigen.“ Die Stiftungsvorsitzende denkt kurz nach. „Wir hatten alle den Eindruck, dass sich die Stimmung unter den Jugendlichen dadurch stark zum Positiven verändert hat.“
Die Stiftung, die in dem Gebäude unweit des Paderborner Doms auch Büros vermietet und Tagungsräume anbietet, entwickelte aus dem Zufallspraktikum einen weiteren Arbeitsbereich. Die gehörlosen, psychisch und körperlich behinderten und sehbehinderten Menschen putzen Zimmer, kochen in der Küche, sind im Service des Restaurants tätig oder an der Rezeption – wie Bettina Rehaag. Ihr Arbeitsplatz unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von üblichen Hotelempfängen. Doch das Büro dahinter ist etwas großzügiger, damit neue Kräfte leichter angelernt werden können. Auch die Küche ist deutlich geräumiger, und es sind überdurchschnittlich viele Servicekräfte im Einsatz. Ein Vorteil auch für sie, sagt Bettina Rehaag, die an Wahrnehmungs- und Feinmotorikstörungen leidet. „Ich bin bei manchen Tätigkeiten einfach etwas langsamer, was gar nicht so schlimm ist, weil mir die Kollegen helfen.“
Dieser Zusammenhalt, er ist im Hotel zu spüren – und ohne ihn geht es auch nicht. „Bei uns ist jedem der nicht behinderten Kräfte bewusst, worauf er sich einlässt, wenn er hier anfängt“, sagt Mechtilde Dirks. „Es ist schon ein Spagat. In bestimmten Situationen müssen wir die Handicaps einfach ausgleichen und manchmal eben mehr als 100 Prozent geben.“ Das ist nicht immer einfach, ergänzt die Hausdame, die mit ihrer Housekeeping-Abteilung für die Sauberkeit des Hotels zuständig ist. Sie muss oft vermitteln und ihr Team aus nicht behinderten, behinderten und benachteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer wieder so zusammenstellen, dass die Arbeit auf den Punkt getan ist. „Wir können uns nicht leisten, dass Gäste nicht in ihr Zimmer können, weil wir die Putzzeiten nicht eingehalten haben“, sagt die resolute 48-Jährige, die, wie die gesamte Belegschaft, ständig weitergebildet wird. „Auf der anderen Seite haben wir überdurchschnittlich gute Bewertungen in den Hotelportalen und bei den Gästebefragungen – was ja auch die Qualität unserer Arbeit zeigt“, sagt Mechtilde Dirks, die wie ein gutes Dutzend ihrer nichtbehinderten Kolleginnen und Kollegen in ihrer Freizeit einen Gebärdensprachkursus macht, um sich besser mit den gehörlosen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern absprechen zu können.
Neben dem Hotel, dessen Zimmerbelegung bei im Branchenvergleich stolzen 60 Prozent liegt, arbeitet die Stiftung seit Sommer 2010 auch direkt an einem Standort des LWL. Sie pachtete das „ Dalheimer Klosterbräu“, das Wirtshaus in der Stiftung Kloster Dalheim – dem LWL-Landesmuseum für Klosterkultur – und betreibt es ebenfalls als Integrationsprojekt. „Das Restaurant bietet 230 Innenplätze und eine Außengastronomie mit rund 80 Sitzplätzen“, beschreibt Michael Schneider vom LWL-Integrationsamt die Größe der Aufgabe.
Von den neun festen Beschäftigten sowie sieben Aushilfen hat die Stiftung Kolping-Forum in Dalheim fünf Menschen mit Behinderung sozialversicherungspflichtig angestellt. Rund 25.000 Euro kamen dabei als Eigenmittel der Stiftung zum Einsatz, jeweils 50.000 Euro geben das LWL-Integrationsamt Westfalen und das Land Nordrhein-Westfalen. „Grundlage ist das NRW-Programm ,Integration unternehmen!’, das 2008 aufgelegt wurde“, sagt Michael Schneider. „Damit wollten das Land und die Landschaftsverbände rund 1.000 neue Arbeitsplätze für Menschen mit einer Schwerbehinderung in Integrationsprojekten schaffen.“ Ein ehrgeiziges Ziel, sagt Schneider. „Aber mit Kooperationspartnern wie der Stiftung Kolping-Forum haben wir schon ein halbes Jahr vor Ende des Programms die Zielvorgabe deutlich übertroffen.“