Waschküche mit Aussicht
Alexianer-Projekt mitten in Münster schafft Arbeitsplätze in hochmodernem Waschsalon mit originellem Kneipen-Café
Es klingt wie? Holländisch? Oder doch Norwegisch? Vor ein paar Tagen hat eine Kundin Anna-Lena S. gefragt, woher aus den Niederlanden sie denn stamme. „Da war ich erst ganz irritiert.“ Wobei das „ich“ bei ihr eher nach einem „ick“ klingt. An sich ist in der Uni-Stadt Münster ein ausländisch klingender Akzent nicht ungewöhnlich. Für die Emsdettenerin mit den hochgesteckten, schwarzen Haaren ist die Frage ein dickes Kompliment. Ihr breites Lachen verrät, wie sehr sie sich darüber gefreut haben muss. „Dann hab’ ich das erklärt.“ Musste sie auch, denn Anna-Lena S. ist fast taub.
Zu Anfang des Gesprächs im Café in der „Alexianer-Waschküche“, in der die 24-Jährige arbeitet, hilft noch Heike Tischmann, Sozialarbeiterin im Integrationsfachdienst Münster, bei ein paar Sätzen mit schwierigen Wörtern mit Gebärden. Dann hat sich Anna-Lena S. schon an die Sprechweisen um sie herum gewöhnt, obwohl in dem Waschsalon mit angeschlossenem Kneipen-Café an der Bahnhofstraße in Münster einiges los ist. Die junge Frau legt den Kopf zur Seite und zeigt auf fast durchsichtige Hörgeräte hinter ihren Ohren, die Töne verstärken und Geräusche um sie herum leiser werden lassen. Als Kind hat Anna-Lena S. ihr Gehör fast komplett verloren. Der Fachausdruck dafür ist „an Taubheit grenzend schwerhörig“, sagt Heike Tischmann.
Allerdings hat Anna-Lena S. sich in ein Leben mit Sprache zurückgekämpft – durch langes Training mit einer Logopädin. Sie kann nicht nur sprechen, sondern auch richtig schreiben. Heike Tischmann und Uta Deutschländer nicken sich zu. Und es ist für einen Augenblick nicht klar, wer sich mehr freut: die 24-Jährige, ihre Chefin oder die Sozialarbeiterin.
Ohne ihr Deutsch mit dem Akzent stünde Anna-Lena S. jetzt nicht 40 Stunden in der Woche mit Tariflohn in der nagelneuen „Alexianer Waschküche“. Rundherum moderne, schlichte Optik mit Kuhfell-Sitzen, ungewöhnlich, auffällig. Ein Integrationsunternehmen, in dem Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam arbeiten. Anna-Lena S. wird zwölf Kollegen haben, davon sechs mit Behinderung, so ist es geplant. Der Landschaftsverband Westfalen Lippe (LWL) und das Land NRW aus dem Programm „Integration unternehmen!“ haben den Start des Unternehmens, das sich in der freien Wirtschaft behaupten muss, mitfinanziert. Die Aktion Mensch und die Stiftung Wohlfahrtspflege unterstützten es ebenfalls kräftig.
Anna-Lena S. bügelt nicht nur Hemden, sondern schäumt zwischendurch auch die Milch für den Cappuccino auf. Wenn in der Reinigung oder im Café viel los ist, helfen sich die Mitarbeiter gegenseitig in den beiden Waschküchen-Teilen. Da passt es gut, dass sie auch zuhause bei den Eltern sehr gerne am Herd steht: „Was ich am liebsten koche? Verschiedene Nudelsorten.“ Sie sind hier alle ein Team, egal ob behindert oder nicht, hat Uta Deutschländer ihren Waschküchen-Mitarbeitern klar vorgegeben.
Die Waschküche ist eine Chance für Anna-Lena S.. Die junge Frau in der hellblauen Jeans und der Bluse im Alexianer-Rot, ihrer Dienstkleidung, lässt sich zur Textilreinigerin ausbilden. Eineinhalb Jahre geht sie nun zur Berufsschule für Hörgeschädigte in Essen, lernt wieder. „Es gibt so viele Stoffe, so viele Farben.“ Uta Deutschländer ist stolz darauf, dass sie mit Anna-Lena S. sechs Mitarbeiter in einer speziellen Qualifizierungsreihe mit integrierter Umschulung hat. Sie kennt sich damit aus, wenn Inhalte für Menschen mit Hörschäden vorbereitet werden müssen. An der Hansalinie in Münster betreibt die Alexianer Textilpflege noch einen Wäschereibetrieb mit 60 Mitarbeitern. 16 von ihnen haben eine Hörbehinderung. Vor ein paar Tagen waren Freunde von Anna-Lena S. zum ersten Mal zu Besuch in der Waschküche. Sie freut sich über deren ehrliches Lob: „Es riecht nicht nach Wäscherei, haben sie gesagt, und es sieht sauber aus. Sie haben sich wohl gefühlt.“
In der Großwäscherei hat Anna-Lena S. früher auch gearbeitet. Jetzt freut sie sich über ihren Arbeitsplatz mit der großen Fensterfront zur belebten Straße. Jeder kann ihr bei der Arbeit zuschauen. „Ich arbeite mit normalen Menschen.“ Sie zeigt mit den Händen auf die Fenster, lacht. „Ich kann leben wie ein normaler Mensch.“ Ab sieben Uhr ist die Waschküche morgens geöffnet. Gerade auch für Pendler wie Anna-Lena S.. Sie rollt mit der Bahn nach Münster. Ihr Weg zur Arbeit ist viel kürzer geworden. Am Bahnhofsausgang biegt sie ab nach rechts, geht über die Straße und steht schon vor ihrem Arbeitsplatz.
Ab sechs Uhr werden schon Theke und Waschsalon mit der Waschmaschinen-Galerie und den Trocknern hergerichtet. Kunden können aber auch alle Textilien zum Waschen, Reinigen oder zum Bügeln abgeben, erzählt Anna-Lena S.: „Und sie sehr schnell wieder abholen.“ Über den Maschinen flimmert auf einem Fernsehschirm immer ein Nachrichtensender oder auch Fußball, damit die Kunden sich nicht langweilen. Da könnte Anna-Lena ihre Lieblingssendung „Tatort“ schauen, zusammen mit der Teletextseite 150, den Untertiteln für Gehörlose. Aber dazu bleibt im Alltag keine Zeit seit die Waschküche angelaufen ist. „Es gibt immer Arbeit, Arbeit.“
Anna-Lena S. hat auch das Arbeiten an der Bügelstation lieben gelernt. „Es macht Spaß, die glatte Wäsche zu fühlen.“ Sie streicht über die Jeans-Oberschenkel, presst mit der Hand den Stoff. „Aber ich muss noch mehr Gefühl in den Händen bekommen.“ Eine Kollegin, die gerade die Lehre hinter sich hat, bringe ihr viele Kniffe und Tricks bei, damit die Wäsche noch schneller fertig ist. Von montags bis freitags ist Anna-Lena S. in der Waschküche beschäftigt. „Noch“, sagt sie. Denn bald kommt ein Tag dazu. Dann darf sie auch samstags arbeiten. Es klingt, als ob es ihr größter Wunsch ist: „Denn dann werde ich allein im Laden stehen.“