Qualität auf allen Ebenen
Bei der Arbeitsgemeinschaft Arbeit in Detmold produzieren Menschen mit Behinderung für den Weltmarkt
Eines nach dem anderen nimmt Monika Dämmrich die grünen Kunststoffteile aus der Kiste, konstant und ruhig. Im Hintergrund ist Radiomusik zu hören, der Lokalsender. Die 53-Jährige greift nach ein paar silbernen Schräubchen, die sie auf dem Tisch bereitgelegt hat, dreht sie in die eine Gehäusehälfte, fügt anschließend die zweite hinzu. Das fertige Teil legt sie fein säuberlich in einen weiteren Behälter. Sie schaut kurz hoch, blickt durch den Raum, in den durch die Dachfenster die Sonne hineinscheint. Dann rückt sie ihren Stuhl zurecht und nimmt das nächste hellgrüne Gehäuse in die Hand. Weiter geht’s.
Gehäuse zusammenbauen ist nur eine von vielen Tätigkeiten, die Monika Dämmrich bei der Arbeitsgemeinschaft Arbeit (AGA) am Westrand von Detmold beherrscht – einem Integrationsunternehmen, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) fördert. Monika Dämmrich ist schon seit 1989 in der Industriemontage beschäftigt, klebt dort mit ihren rund 40 Kollegen Etiketten, konfektioniert Kabel für Schaltschränke, baut Gehäuse zusammen – zumeist für den international tätigen Elektrotechnik-Konzern Phönix Contact, der seinen Hauptsitz im benachbarten, ostwestfälischen Blomberg hat. „Als ich hier anfing, waren wir gerade mal 25 Kollegen“, erinnert sie sich. „Das hat sich ganz schön verändert.“ Aber, sie fühlt sich immer noch wohl. „Der Druck ist hier anders als ich das aus meinem früheren Job kannte. Wir müssen zwar auch unsere Leistung bringen, aber wir wissen genau, dass wir das auch schaffen.“
Die gebürtige Detmolderin machte ihre Lehre als Bekleidungsfertigerin bei einem Textilunternehmen, arbeitete dort im Akkord. Sie bekam einen schweren Bandscheibenvorfall, später litt sie unter Depressionen und unter Morbus Crohn, entwickelte eine Neurodermitis. Monika Dämmrich wurde Frührentnerin. „Das Geld reicht aber nach so wenigen Arbeitsjahren nicht aus, deswegen wollte ich gerne noch etwas dazuverdienen“, sagt die zweitdienstälteste AGA-Mitarbeiterin. „Außerdem möchte ich auch für meine Selbstbestätigung arbeiten.“
Die Chance dazu hat sie bei der AGA, bei der 35 Menschen mit Behinderung angestellt sind. Daneben arbeiten rund 50 weitere Kollegen für den Recyclinghof, der für die Sperrmüllabfuhr im gesamten Kreis Lippe zuständig ist, und im Betriebsbereich Umweltprojekte, der zum Beispiel bei der Renaturierung von Gewässern hilft. Das vielfältige Profil ist über die Jahre gewachsen. Die AGA wurde 1987 von sozial engagierten Personen aus der Behindertenarbeit und Angehörigen von psychisch erkrankten Menschen als Verein gegründet. Ziel war und ist es bis heute, Jugendliche und Erwachsene in Arbeit zu bringen, die ansonsten kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz hätten – wegen Behinderung zum Beispiel, psychischer Probleme, aber auch Langzeitarbeitslosigkeit. „Mit der Übernahme der Sperrmüllentsorgung Mitte der 90er Jahre hatte die AGA plötzlich 350.000 neue Kunden in ihrer Kartei. So eine große Aufgabe war natürlich nicht mehr unter dem Dach eines ehrenamtlich geführten Vereins zu bewältigen“, sagt Jens Fillies, Geschäftsführer der AGA.
Eine neue Struktur musste her, die es ermöglichte, weiter gesund zu wachsen. Die Ausgliederung der Vereinsaufgaben in ein selbständiges Unternehmen war der logische Schluss. Im Jahr 2000 entstand eine gemeinnützige GmbH mit dem Verein als einzigem Gesellschafter. Unterstützt wurde die Gründung durch Mittel aus der Ausgleichsabgabe, die der LWL Integrationsunternehmen, die einen hohen Anteil von Mitarbeitern mit Behinderung beschäftigen, bezahlt; zudem finanzierte die Agentur für Arbeit mit. Der Großteil des Umsatzes kommt auch heute noch aus den Einnahmen aus den Industriedienstleistungen sowie den Erlösen aus dem Recyclinghof, die aus den Abfallgebühren, Wertstofferlösen und arbeitsmarktpolitischen Fördermitteln stammen.
Jens Fillies selbst ist seit 2001 dabei. Der Beamte der Stadt Detmold war damals bei den Städtischen Betrieben beschäftigt. Er zögerte nicht lange, als er gefragt wurde, ob er sich eine Abordnung von seinem Job in das Unternehmen vorstellen könne. „Das Spannende ist, dass wir hier in der freien Wirtschaft arbeiten und uns immer wieder selbst auf den Prüfstand stellen müssen“, sagt der Schalke 04-Fan, der in seiner Freizeit die Handballspiele des Bundesligisten TBV Lemgo für Radio Lippe kommentiert. Dazu gehört auch, die Unternehmensbereiche dauerhaft fit für die Zukunft zu machen. Als gemeinnützige GmbH investiert die AGA sämtliche Einnahmen zurück ins Unternehmen, auf diese Weise lassen sich die Arbeitsplätze dauerhaft finanzieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die Qualität. „Auch wenn Phönix Contact bekannt dafür ist, dass das Unternehmen sich sozial engagiert, können wir uns keinen Schlendrian erlauben. Die Produkte müssen immer perfekt sein“, sagt der Geschäftsführer, der sein Büro im Haupthaus eines ehemaligen Bauernhofes hat. In den Hallen drum herum, die im Laufe der Jahre gebaut wurden, und in den anderen Gebäuden des Hofes legen die Teamleiter daher viel Wert darauf, dass die Mitarbeiter konzentriert bei der Sache sind. Alle Bauteile, die zum Kunden gehen, werden zudem akribisch kontrolliert.
Die Bedeutung seiner Arbeit ist auch Heinz Kerner vollkommen klar, der seit 1996 bei der AGA tätig ist. Der 43-Jährige baut ebenfalls Gehäuse in der Industriemontage zusammen und hat seinen Platz gefunden, wie er betont. „Ich habe eine Lehre im Gartenbau angefangen, aber kurz vor Schluss abgebrochen. Danach habe ich im Lager gearbeitet, bin aber nie so richtig zurechtgekommen“, erzählt er. „Das liegt, wie mir heute klar ist, an meiner Krankheit.“ Kerner leidet an einer Persönlichkeitsstörung. „Es war immer schwer für mich, Fuß zu fassen.“
Auf dem Arbeitsmarkt sah er für sich keine Chance mehr, „ich war wirklich verzweifelt“. Bis er über den vom LWL finanzierten Integrationsfachdienst Detmold von der AGA hörte. Er machte ein Praktikum, bekam dann einen festen Vertrag. Und ist zufrieden, mit dem Job, den Kollegen, auch den Chefs, wie er lächelnd sagt. „ Hier komme ich gerne zur Arbeit.“